Die sozialen Medien und Ich
Social Media war nie wirklich mein Ding. Klar, ich stehe auch gerne im Rampenlicht und genieße die Aufmerksamkeit. So wie viele in meiner Generation habe ich bis Mitte der 2010er Jahren alles in den Status gehauen, was mir gerade so in den Sinn kam. Irgendwann hatte ich aber die Lust daran verloren und mich, bis zu dem Zeitpunkt als Instagram auf meinen beruflichen Plan trat, auch nicht wirklich viel damit beschäftigt – von gelegentlicher Selbstdarstellung auf Instagram mal abgesehen.
Entsprechend habe ich die Arbeit von Influencer*Innen und anderen Personen belächelt, die ihr Geld mit Social Media Auftritten verdienen: Ein paar Zeichen in die Beschreibung, schnell ein Foto machen – Hashtags in die Kommis. Leicht verdientes Geld also.
Zeit für Perspektivübernahme
Wenn ich nun selbst diese Aufgaben erledige, fühle ich mich ein bisschen wie der Protagonist in der Zeichentrickserie „Avatar – The Last Airbender“. Ich wechsle in den Avatar Modus und erhalte dadurch ungeahnte Social-Media-Kräfte, bin danach aber dermaßen müde und merke welche Anstrengung mich diese Arbeit gekostet hat.
Zeit einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Durch Recherche und eigene Gedanken möchte ich die folgenden Überlegungen zum Hinterfragen der Arbeit als Influencer*In zum Besten geben:
Hinter jedem perfekten Foto steckt Arbeit
Zunächst gilt es sich zu überlegen wie viel Arbeit hinter einem einzigen Post steckt. Besonders bei authentischen Lifestyle-Influencern*Innen kann man das Foto am Strand schnell mit einem Schnappschuss verwechseln. Doch es muss mit Kalkül vorgegangen werden, um die Quality zu halten: Gab es diese Pose an diesem Ort schon mal? Stimmt die Belichtung? Ist das beworbene Produkt gut zu sehen? Bis das Sonnenuntergangsfoto steht ist dieser längst vorbei. Freizeit am Strand genießen sieht sicherlich anders aus.
Abhängigkeit von der Community & den Kunden
Viele Vollzeit-Influencer*Innen behaupten sicherlich ihr Ding zu machen, was sie auch müssen, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden. Allerdings bestimmen nicht sie was den Usern (und dem Algorithmus) gefällt. Wer von Social Media leben will und nach Sicherheit strebt muss sich den Statistiken, bis zu einem gewissen Grad, unterwerfen. Denn letztendlich bezahlen Unternehmen nur für Produktplatzierungen, wenn die Reichweite und Zielgruppe für sie stimmt. Besonders kleinere Influencer*Innen stehen also auf „wackeligen“ finanziellen Beinen. Nicht wenige werden sich Sorgen um ihre Zukunft, finanzielle Sicherheit und Altersvorsorge machen. Jede freiberuflich tätige Person weiß, welche Auswirkungen dies auf das tägliche Wohlbefinden haben kann.
Authentizität
Wie im vorherigen Abschnitt angesprochen leisten Influencer*Innen einen Spagat zwischen Authentizität & Gefallen der breiten Masse, der Zielgruppe und des Algorithmus. Das heißt: Jede Aktion muss auf ein authentisches Erscheinungsbild in einem nicht authentischen Umfeld & System geprüft werden. Verlieren die User den Glauben an die Authentizität, und Glaube ist die Währung im Netz, verlieren Influencer*Innen ihr Kapital.
Diesen Spagat zu schaffen und dabei fortlaufend “in der Rolle” zu bleiben kann eine psychische Belastung darstellen. Auch eine Entfremdung vom Selbst durch kontinuierliches Darstellen ist denkbar.
Hate-Speech
Auch wenn die im vorherigen Abschnitt beschriebene Prüfung des Content stattgefunden hat, ist damit noch längst nicht gewährleistet, dass User den Influencer*Innen wohlgesonnen sind. Cybermobbing ist allgegenwärtig und kann einen hohen Leidensdruck bei Contentcreator*Innen hervorrufen. Wer Postings erstellt, muss häufig Hass und Ablehnung in Kauf nehmen. Nicht wenige Influencer*Innen und Personen des öffentlichen Lebens befinden sich daher in psychotherapeutischer Behandlung.
Social Media kennt keine Feiertage
Zuletzt möchte ich auf die Arbeitszeiten von Social Media zu sprechen kommen. Influencer*Innen kennen nämlich keine Wochentage. Der Algorithmus und die Nutzungszeiten der User schreiben klar vor, wann ein Posting erfolgen muss: In den Abendstunden und am Wochenende. Wenn normale Arbeitnehmer*Innen also ihr Wochenende genießen können, schreiben Influencer*Innen Hashtags in die Kommentare. Instagram ist kein Full-Time sondern ein 24/7 Job.
Auch wenn sich hier schwerlich ein Urteil über die persönlichen Auswirkungen treffen lässt, sind Stress und Überarbeitung relativ gut erforscht. Es kommt zu Schlafstörungen, unausgeglichenheit, Depressivität, Antriebsmangel usw.
Persönliches Fazit
Bin ich nun ein Fan der Influencer-Community, nachdem ich das alltägliche Arbeitsleben von der kritischen Seite aus betrachtet habe? Sicherlich nicht. Ich glaube, dass viele Influencer*Innen ihrer Verantwortung, die sie durch ihre hohe Reichweite besitzen, nicht nachkommen. Insbesondere in Hinblick auf die jüngere Generation, deren Schulung im Umgang mit Social Media mit den Veränderungen der digitalen Welt nicht mithalten kann.
Allerdings betrachte ich den Perspektivenwechsel, Empathie und Verständnis als eine Tugend, besonders aus der Brille des Psychologen. „Urteile nicht über mich, bevor du nicht [Anzahl] Meilen in meinen Schuhen gelaufen bist.“, ist eine Weisheit deren Handlungsaufforderung ich mir vor Augen halten möchte, auch gegenüber Influencer*Innen.
Dein Darius Frye
(B.Sc. Wirtschaftspsychologie – Praktikant im Bereich klinische Psychologie & Admin)