My time has come…
Der typische Fall: Eine Studierende der Medizin beschäftigt sich gerade mit COPD (einer Lungenkrankheit), plötzlich ist das leichte Stechen in der Brust nach dem Treppensteigen keine unregelmäßige Belastungsreaktion mehr, sondern ein Symptom. Die Angst jene Erkrankung zu haben mit der man sich gerade befasst nennt sich Nosophobie oder auch Medizinstudenten-Syndrom. Dieses ist aber auch unter Studierenden der Psychologie weit verbreitet.
Der Weg zur Immunisierung
Besonders spannend ist dabei, dass die meisten Studierenden der Medizin & Psychologie im Verlauf des Studium „immun“ gegen Nosophobie werden. Dies kann unter anderem darin begründet sein, dass die Studierenden eine Expertenstatus erlangen. Sie eignen sich mehr Informationen über Krankheitsbilder und deren tatsächlichen Symptomen an & können eine bessere Einordnung treffen. Vielleicht ist es aber auch einfach die Abhärtung, nach einigen Jahren Studium immer noch nicht schwer erkrankt zu sein und daher die Auslöser der Angst besser reflektieren zu können. Das Problem der digitalen Welt ist jedoch, dass diese Immunisierung hauptsächlich unter Studierenden auftritt. Personen, die sich nicht intensiv mit Störungsbildern & Krankheiten beschäftigen, haben als Anlass für ihre Informationssuche bereits ein Symptom oder etwas, das sie als solches identifizieren. Schnell werden eigene Symptome den falschen Krankheitsbildern zugeordnet, das Ausmaß des Symptomes wird durch die Angst noch gesteigert oder die Internetrecherche führt zur Formulierung einer Hiobsbotschaft über das nahende Ende.
Überidentifikation auch in den sozialen Medien
Aus eigener Erfahrung ist dieses Phänomen auch auf Instagram verbreitet. Es gibt eine Vielzahl an Kanälen, die sich mit psychischen Störungsbildern beschäftigen oder Awareness für psychische Störungen schaffen. Auch der Instagram-Account, auf dem dieser Blogbeitrag einmal veröffentlicht werden wird, zählt zu diesen Kanälen. Häufig begegnen mir Beschreibungen wie die einer Persönlichkeitsstörung, die Kernmerkmale in kurzen Stichpunkten in einer Feed-Galerie. Darunter finden sich Kommentare, in denen Personen vermuten, dass sie jene Störung hätten oder jemanden kennen, der von dieser Störung betroffen sei. Es fehlt an fachlichem Wissen, dass vergleichbare Symptome bei einer Vielzahl an Störungen auftreten können oder, dass eine Reihe an Symptomen vorliegen müssen, um die Diagnose zu festigen.
Einen reflexiven Umgang mit Informationen im Netz etablieren
Einem befreundeten Account schrieb ich, man müsse bald bei jedem Post einen Disclaimer hinterlegen, dass eine Diagnose von einem fachlichen Experten gestellt werden sollte, bevor eine Überidentifikation mit der Krankheitsbeschreibung Tür & Tor geöffnet wird. Doch die Frage bleibt, ob es damit getan wäre. Fast jeder vermutet im Verlaufe seines Lebens bei sich eine, mehr oder weniger schwerwiegende, psychische oder physische Erkrankung. In Relation dazu ist es um Aufklärung über typische Krankheitsbilder, Symptomen & Abgrenzungen und Diagnose eher spärlich gesät. Es braucht meiner Meinung nach mehr Kinder, Jugend & Erwachsenenbildung zu Krankheiten und Störungsbildern aller Art! Vor allem, um der Selbstdiagnose über Google und sozialen Medien entgegenzuwirken.